KREISVERBAND

Aktuelle Neuigkeiten der SPD im Kreis Ahrweiler.

„Ihr seid nicht schuld an dem, was war,

aber verantwortlich dafür, dass es nicht mehr geschieht“

Max Mannheimer, Holocaust-Überlebender

Wir wollen die Erinnerungskultur pflegen. Dabei ist uns der 27. Januar, der Tag der Befreiung des KZ Auschwitz ein besonderes Anliegen.

Im letzten Jahr haben wir damit begonnen. Unter dem Titel „Die Nazis fielen nicht vom Himmel …“ hat unser Genosse Günter Walden aus Kreuzberg sein neu erschienenes Buch vorgestellt: Ignoranten und Rassisten. Die Bedeutung des Antisemitismus für den Aufstieg der NSDAP in der Weimarer Republik.

Herr Avadiev, Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde Koblenz (Mitte)Herr Avadiev, Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde Koblenz (Mitte)© SPD Kreisverband AhrweilerIn diesem Jahr haben die SPD Ortsvereine Kalenborn und Mittelahr coronabedingt in sehr kleiner Runde am 27.1.22 um 17 Uhr zu einer HOLOCAUST Gedenkveranstaltung auf den Jüdischen Friedhof in Dernau eingeladen.

Dieser Friedhof ist als ältester Jüdischer Friedhof im Ahrtal ein geschütztes Kulturdenkmal und gehört zur Jüdischen Kultusgemeinde Koblenz. Als Hausherr erinnerte der Vorsitzende Herr Avadiev an jüdisches Leben an der Ahr, an die Familien, deren Grabsteine wir hier finden. Er hob hervor, wie sehr es immer noch schmerzt, dass beispielsweise jüdische Männer, die als Deutsche im 1. Weltkrieg aktiv ihr Vaterland verteidigt hatten, von eben diesem Vaterland nur wenige Jahre später systematisch ermordet wurden. Dieser Schmerz wird bleiben, vor allem weil es heute so gut wie keine Nachfahren mehr in Deutschland gibt. Die Mitglieder seiner Gemeinde, die inzwischen mehr als 900 zählen, haben fast alle Migrationshintergrund. Das Gedenken an die Opfer der Shoa muss deshalb  „niemals wieder“  bedeuten. Es wird zu einem gemeinsamen WIR und zu einer Verantwortung, die bleibt.

Matthias Bertram, Dernauer Urgestein und Heimalforscher, konnte als Flutbetroffener leider nicht dabei sein. Von ihm wissen wir, dass die Jüdische Gemeinde Dernau seit 1609/1619 belegt ist. Schon 1434 finden wir aber in einer „Judensteuerliste“  des Reichserbkämmerers Konrad v. Weinsberg Hinweise, dass Juden in Saffenburg/Dernau gewohnt bzw. sich aufgehalten haben. „Um 1850 waren in Dernau fast fünf Prozent der Einwohner jüdischen Glaubens. Sie hatten ihre eigene Synagoge/Bethaus, eine Schule und einen Lehrer. Die Leiter der Gemeinde kamen meist aus den Familien Heymann und Bär. Ab 1843 zogen im Rahmen der größeren Liberalisierung und auf Grund besserer Geschäftsmöglichkeiten mehr und mehr der Dernauer Juden nach Ahrweiler. Um 1862, mit dem Tode des Familienoberhauptes Marc Heymann, kam es zur Gründung einer jüdischen Gemeinde Ahrweiler/Dernau. In Dernau selbst wohnten um 1900 lediglich noch ein Prozent der Bewohner jüdischen Glaubens.“

Susanne Müller (SPD), MdL, beim Anzünden der KerzenSusanne Müller (SPD), MdL, beim Anzünden der Kerzen© SPD Kreisverband AhrweilerHeinz-Wilhelm Schaumann, Beigeordneter in der Verbandsgemeinde Altenahr und Gemeinderatsmitglied in Dernau bedankte sich nachdrücklich bei Dr. Renate Strauch und Dr. Sigrid Dehmelt für die Initiative zu dieser Gedenkveranstaltung. Es sei sehr wichtig, die Erinnerung an das furchtbare Geschehene wach zu halten. Beindruckend berichtete Schaumann von seiner ersten Erfahrung mit dem Begriff Holocaust. Als 13 jähriger Schüler hatte er einen Ausschnitt aus der Nazi-Zeitung „Der Stürmer“ gesehen, in dem sein Großvater und ein weiterer Dernauer öffentlich angeprangert wurden, weil sie als Nichtjuden mit einem Juden im Gasthaus Karten gespielt hatten. Seine Großmutter erklärte ihm die schlimmen Lebensumstände und die schrecklichen Ereignisse in der Nazizeit. Nachdrücklich appellierte Schaumann, das Gedenken an die Opfer des Holocaust zu bewahren.

Der beeindruckende, authentische Bericht ließ die Zeit der Verfolgung allen sehr anschaulich werden. Das anschließende gemeinsame  Anzünden der mitgebrachten Kerzen und Verteilen auf allen Gräbern wurde so zu einem stimmungsvollen Höhepunkt.

Zum Abschluss spannte Susanne Müller, Mdl, den Bogen vom gestern zum heute. Hier ihre  Ansprache im Wortlaut:

„Heute vor 77 Jahren wurde das Konzentrationslager Auschwitz von der roten Armee befreit. Menschen wurden befreit, die die Hölle überlebt hatten. Viele für ihr Leben gezeichnet. Sechs Millionen Menschen jüdischen Glaubens wurden damit systemisch verfolgt und ermordet. Wir gedenken heute der Opfer nationalsozialistischer Verbrechen: an die ermordeten Juden Europas, Sinti und Roma, an kranke Menschen und Menschen mit Behinderung, homosexuelle Menschen, politisch Verfolgte, Zeugen Jehovas, an die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die Kriegsgefangenen oder die zu „Untermenschen“ degradierten slawischen Völker.

Dr. Sigrid Dehmelt beim Anzünden der KerzenDr. Sigrid Dehmelt beim Anzünden der Kerzen© SPD Kreisverband AhrweilerDoch wir ehren heute auch den Mut derjenigen, die sich nicht abfinden wollten mit der Zerstörung von Freiheit und Humanität und die oftmals um ihr Leben fürchten mussten oder ermordet wurden, weil sie für diese Grundwerte eingetreten sind. Aber wir tun dies nicht nur für unser Gedenken, sondern gleichsam für unsere Zukunft. Wir tragen eine Verantwortung dafür, dass sich Menschen in Deutschland und Europa sicher fühlen. Heute und zukünftig.

Deswegen müssen wir wachsam sein und gegen Vorurteile und Verschwörungstheorien angehen und dieser mit aller Entschlossenheit begegnen. Zu oft sehen wir in dieser Zeit, dass Rechtspopulisten unter dem Rückgriff auf demokratische Werte scheinbar „den Willen des Volkes“ abbilden. Hier wird nach Meinungsfreiheit geschrien, um rassistische, antisemitische oder islamfeindliche Äußerungen unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit zu verbreiten. Je weiter die Zeit des Nationalsozialismus zurückliegt, desto wichtiger wird die Erinnerung - weil wir dazu neigen, für selbstverständlich zu halten, was doch die historische Ausnahme ist: Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Und wir sehen an vielen Orten in der Welt was passiert, wenn diese Grundwerte nicht eingehalten werden und mit welchem Leid das verbunden sein kann. Deswegen gilt es die Erinnerung hochzuhalten.

Wir müssen uns daran erinnern, was passiert wenn Antisemitismus, Rassismus, Intoleranz oder Menschenfeindlichkeit in unserer Mitte geduldet wird und unser gemeinschaftliches Miteinander bestimmt. Deswegen geht eine große Gefahr vom Vergessen aus. Die NS-Zeit zeigte uns, wie leicht ein demokratischer Rechtsstaat durch den Missbrauch demokratischer Regeln in sein Gegenteil verkehrt werden kann. Wer sich auf Corona-Demonstrationen einen gelben Stern anheftet, verhöhnt die Opfer des Nationalsozialismus. Das müssen auch diejenigen wissen, die mit solchen Menschen marschieren. …

Lassen Sie uns gemeinsam dafür einstehen, die gleiche Freiheit und Würde aller Menschen in unserem Land zu schützen.“

Alle waren sich einig: Wir wollen fortsetzen und die Erinnerungskultur jährlich am 27. Januar pflegen. Ganz im Sinne von Richard v. Weizsäcker:  „Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren. “ (historischen Rede vom 8. Mai 1985).

Geschrieben von Pressewart
Veröffentlicht: Freitag, 28. Januar 2022 11:28